Blender kennenlernen

Blender kennenlernen - Ausgabe 2022-2023 Ein hilfreiches E-Book für absolute Neu-Einsteiger in den 3D-Bereich und die Software Blender-3D

Eine Bildkomposition aus dem fotorealistischen Renderer (Cycles), dem künstlicherischen Post-Renderer (Freestyle) und einem Hintergrundfoto (360°-Sphäre).
Screenshot aus Blender mit dem die Lokomotive gerendert wurde (Modell von Hans Josef Classen).
Die Lokomotive als Porträtvariante (hochkant).

Dieses EBook ist eine Produktion der Blender3dSchool.de, 2022. Inhalte & Abbildungen können beliebig verwendet werden unter Angabe folgenden Urhebernachweises (Creative-Commons CCBy-Lizenz): Blender kennenlernen, Blender3dSchool.de, EBook, 2022.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Grundlagen
  • Für wen ist dieses Ebook
  • Was ist 3D
  • Es werde Licht
  • In Blender läuft das Licht rückwärts
  • Wir sezieren ein 3D-Objekt
  • Der Kamera Standpunkt
  • Kleine Materialkunde
2. Blender
  • Der erste Start
  • Grobe Orientierung
  • Einstellungen
  • Workspaces
  • Fenster-Typen
  • Gekachelte Oberfläche
  • 3D-View
3. Formen erschaffen und verändern
  • Primitive Objekte einfügen
  • Objekteigenschaften ändern
  • Der Röntgen-Blick
  • Edit-Mode
4. Packpapier einfärben
  • Materialien
  • Shader & Nodes
  • Flächen unterschiedlich einfärben
  • Wohin das Packpapier aufgeklebt wird
  • Ein UV-Layout anlegen
5. Licht & Ausgabe
  • Beleuchtung
  • Render-Kamera
  • Rendern mit Cycles
6. Glossar

abschließend Rettungs-Tastenkürzel

1. Einleitung & Grundlagen

1.1. Für wen ist dieses Ebook

Das Ebook wird verfasst von DozentInnen der Blender-3D-School, die dem Newbee-Track zugeordnet sind. Es soll generell 3D-EinsteigerInnen und speziell Blender-EinsteigerInnen unterstützen in die 3D-Welt einzutauchen und das 3D-Programm Blender zu erlernen. 

Während das sehr umfangreiche und ausführliche Blender-Handbuch zu allen und jeden Buttons und Funktionen Auskunft geben kann und neben der Geschichte von Blender auch Hinweise zur Installation gibt, ist dieses Ebook eher ein Leitfaden zu den aller wichtigsten Punkten, um möglichst schnell ein Überblick über die Arbeit mit Blender zu erhalten. 

1.2 Was ist 3D

Die Welt des 3D-Crafting (zu deutsch der Erschaffung von 3D-Werken) ist groß. Die meisten Menschen kennen 3D-Erzeugnisse aus Computer- und Konsolenspielen oder aus dem Kino und verbinden mit 3D die Erschaffung neuer bzw. alternativer Welten. Die Arbeitsschritte die notwendig sind, um ein solches Spiel oder einen solchen Film herzustellen werden wir im Rahmen dieses EBooks kurz ankratzen, aber wir sollten nicht verschweigen, dass für die Fähigkeit einen Kino-Blockbuster oder ein AAA-Game zu erzeugen eine solide Ausbildung und oder viele Jahre des motivierten Selbststudiums und der praktischen Arbeit notwendig sind. Außerdem wird ein ganzes Team benötigt, organisiert in Departments, die jeweils eigenen Berufsbildern innerhalb der 3D-Welt entsprechen. 

Darüberhinaus umfaßt der 3D-Bereich auch die Herstellung physikalisch realer Objekte im 3D-Druck und das Digitalisieren physikalischer Objekte mit 3D-Scannern. Nützliche 3D-Anwendungen sind überaus zahlreich, z.B. 

  • Die schon erwähnten Produkte der Unterhaltungsbranche
  • Prothesen- und Ersatzteilherstellung mit 3D-Druck
  • Medizinische Therapien in VR 
  • Konservierung und Archivierung von Kulturgütern
  • Wissenschaftliche Simulation und Visualisierung
  • Entwurf, Konstruktion und Visualisierung von Produkten

 

Die Software Blender kann für nahezu alle dieser Bereiche eingesetzt werden, so wie ein großes schweizer Taschenmesser des 3D-Crafting. Es gibt natürlich auch noch viele andere 3D-Softwares, die auf die jeweiligen Aufgaben spezialisierter ausgerichtet sind.

1.3 Es werde Licht

Menschen und Tiere haben Sinnesorgane um die Umgebung wahrzunehmen. Das Auge des Menschen besitzt jeweils eine Retina im hintenliegenden Augapfel welche Lichtstrahlen in elektrische Impulse umwandelt und sie an das Gehirn weiterleitet. Bevor die Lichtstrahlen aber durch die Linse in das Auge treffen, werden diese eventuell an Objektoberlfächen reflektiert. Durch die Materialbeschaffung der Objekt-Oberflächen werden den auftreffenden Lichtstrahlen bestimmte Farbfrequenzen entzogen, so dass die auf die Retina auftreffenden Lichtstrahlen so Informationen der Materialoberfläche (Farbe und Helligkeit) an des Betrachter’s Auge weitergeben. Gespeist werden die Lichtstrahlen von einer Lichtquelle. Die größte Lichtquelle in unserem Sonnensystem ist der Stern im Zentrum genannt Sonne, welche Licht in einem großen Farbspektrum aussendet. Die unterschiedlichen Farben des von der Sonne ausgesendeten Lichts können z.B. gut in einem Regenbogen betrachtet werden. Das Sonnenlicht erscheint uns aber meist weiß, da sich die Farben bei Überlagerung zu weiß addieren. Zusammengefasst ist der zeitliche Ablauf wie folgt:

  1. Die Lichtquelle (z.B. die Sonne) sendet Lichtstrahlen aus
  2. Die Lichtstrahlen werden von Objekten reflektiert und entziehen ihnen dabei bestimmte Farbanteile des Lichts
  3. Die Lichtstrahlen fallen in das Auge – die Kamera des Menschen – und treffen letztendlich auf die Retina, an der sie die Materialinformationen der besuchten Objekte “übergeben”

1.4 In Blender läuft das Licht rückwärts

In Blender (und auch allen anderen mir bekannten 3D-Anwendungen) läuft dabei das Licht genau in umgekehrter Reihenfolge: 

  1. Die Kamera schießt Strahlen (englisch Rays) durch kleine Öffnungen (die Bildschirmpixel) in die virtuelle Welt (siehe Abb. 1)
  2. Die Strahlen treffen auf virtuelle Objektoberflächen, welche eine bestimmte Helligkeit und Farbe besitzen 
  3. Genau in dieser Farbe und Helligkeit wird nun der jeweilige Ursprungspixel auf dem Bildschirm eingefärbt 

Der Prozess des Aussendens und Reflektieren von Strahlen und Einfärbens von Pixeln auf einem 2-dimensionalen Bildschirm wird Rendern genannt. Das Einfärben als Teil des Renderprozess wird Shaden / Shading genannt.

Der Grund für die Invertierung des Lichtwegs liegt in der Beschränkung der Grafikkarten-Hardware. Diese kann es sich schlicht und einfach nicht leisten alle Lichtstrahlen, die von einer Lichtquelle ausgesandt werden, zu verfolgen, denn viele dieser Lichtstrahlen werden niemals auf eine Kamera treffen und dementsprechend von niemanden gesehen. Indem der Spieß umgedreht wird, muss sich die Grafikkarte daher nur mit den Lichtstrahlen beschäftigen, welche definitiv auch “gesehen” werden. 

1.5 Wir sezieren ein 3D-Objekt

Objekte der realen Welt bestehen aus Molekülen und Moleküle bestehen aus Atomen, die wiederum aus Elektronen und Protonen. Selbst ein kleines Sandkorn besteht immer noch aus sehr sehr vielen Atomen (es wird von circa  42 Trillionen Silizium- und Sauerstoff-Atomen ausgegangen). Diese vielen Atome können mit unserer 3D-Hardware zur Zeit nicht abgebildet werden, weswegen wir etwas “schummeln” müssen. Virtuelle Objekte (egal ob Sandkörner oder Sandstein-Schlösser) setzen wir wie folgt zusammen: Zuerst wird das Objekt mit einem Drahtgitter (engl. Wireframe oder Mesh)  in Form gebracht (siehe Abb. 2). Hierdurch erhalten virtuelle Objekte auch ein Volumen (wenn sie nicht gerade dünne Tischdecken sein sollen). Dieses Drahtgitter wird dann mit Packpapier überzogen, welches nach Belieben angemalt werden kann. Hierdurch erhält das Objekt neben der Form nun auch eine Oberfläche mit Helligkeit und Farbe. Die Summe aller Packpapiereigenschaften, u.a. die Farbe und Helligkeit, wird als Material zusammengefasst.

Die Grafikkarte muss sich nun nur die Drahtgitter-Punkte merken und welche Punkte (engl. Vertex) zu welcher Kante (engl. Edge) und welche Kante mit welchem Packpapier überzogen wird, so dass eine Fläche (engl. Face) entsteht. Diese Kanten-überspannenden Packpapier-Flächen werden auch Polygone genannt. Sind genau 3 Punkte an der Fläche beteiligt, spricht man von Dreieck (engl. Triangle oder kurz Tri), bei 4 Punkten nennt man die Fläche auch Quadrat (engl. Quadrat, oder kurz Quad), bei mehr als 4 Punkten wird in Blender der Begriff NGon genutzt.

Um nun für das Rendering die Pixel auf dem Bildschirm richtig einzufärben, braucht man “nur” schauen auf welches Polygon ein bestimmter Strahl trifft und welches Packpapier / Material diesem Polygon zugeordnet wurde.

1.6. Der Kamera Standpunkt

Alle virtuellen Objekte, sowie die Kamera, durch welche diese Objekte betrachtet werden, sind Teil der gleichen 3D-Szene. Nur die Objekte, welche für die Kamera sichtbar sind, werden auf dem Render-Bild oder Video erscheinen. Durch Verschieben & Rotieren der Kamera kann der Blickwinkel und die Blickposition verändert werden, so dass weitere Objekte in das Blickfeld der Kamera geraten, während andere das Blickfeld verlassen. 

Statt die Kamera zu bewegen, können sich aber genauso auch die Objekte bewegen und damit das Kamera-Blickfeld verlassen oder betreten (siehe Abb. 3). 

Jede Kamera hat neben dem Öffnungswinkel aber auch eine minimale und eine maximale Objektentfernung in der sich zu rendernde Objekte befinden dürfen. Der Grund für die maximale Entfernung liegt wieder an den knappen Hardware-Ressourcen. Die Begrenzung der Sichtweite kann man sich wie einen Nebelschleier vorstellen, der weit entfernte Objekte verbirgt. Was verborgen ist, bewahrt die Grafikkarte (GPU) vor zuviel Arbeit. 

1.7. Kleine Materialkunde

Echte, physisch-anfassbare Objekte sind aus einem bestimmten Stoff gemacht. Wir nennen diesen Stoff in der 3D-Produktion  “Material” und versuchen meist die “virtuellen” 3D-Materialien so gut es geht den Natur-Stoff-Vorbildern anzugleichen (manchmal will man sich aber auch bewusst absetzen, z.B. bei Cartoon-Shadern). Damit wir die echten Stoffe gut nachahmen können, ist ein Verständnis förderlich, welche unterschiedlichen Charakteristika einen echten Stoff ausmacht.

1 Farbe & Helligkeit

Farben sind das stärkste visuelle Identitätsmittel, um einen Stoff oder ein Objekt wiederzuerkennen und spielen im Leben aller Menschen / Tiere eine große Rolle (Angst = rot, Entspannung = grün, Helligkeit = Licht = Futter etc.). Die Farbe Orange bekam gar ihren Namen von einer bekannten Frucht namens Orange, die sehr markant gefärbt ist. Farben lassen sich meistens sehr gut virtuell nachahmen, da der Farbstandard “sRGB” der heutigen Monitore relativ groß ist (bestimmte Blau- oder Grüntöne können allerdings nur auf speziellen Monitoren dargestellt werden). 

2 Oberflächenbeschaffenheit, Rauheit & Reflektion

Die Mikro- und Nanostruktur einer Oberfläche hat einen großen Einfluss auf das reflektierte Licht. Die bläulich schimmernden Schmetterlingsflügel sind nicht etwa mit blauen Pigmenten ausgestattet, sondern haben eine speziell-gerasterte Struktur aus denen nur der blaue Lichtanteil der Sonnenlichts entkommt. Bei perfekt glatten Oberflächen spiegelt sich die Umgebung, je rauher aber eine Oberfläche ist, desto mehr wird das reflektierte Licht gestreut und das Spiegelbild verschwimmt oder ist überhaupt nicht sichtbar. Wirkt eine Oberfläche schwarz, wird ein Großteil des ankommenden Lichts durch die Oberfläche absorbiert.

3 Lichtdurchlässigkeit 

Durch Glas und Wasser kann man hindurchschauen, hier wird das Licht lediglich am Materialübergang (Luft zu Wasser und Wasser zu Luft) gebrochen. Andere Stoffe sind undurchsichtig, lassen aber trotzdem Licht durchscheinen (z.B. Haut, gut zu beobachten bei den Ohren des Menschen) und wieder andere Stoffe sind extrem Licht-schluckend, z.b. dunkle, dicke, schwere Vorhänge, die zugezogen ein Zimmer vollständig abdunkeln können.

4 Leiter & Nicht-Leiter

Stoffe, die keinen Strom leiten (z.B. Gummi oder Porzellan) und als Isolatoren Verwendung finden, reflektieren das Licht verschwommener und dumpfer als Metall-Stoffe, die Strom leiten können. Bei hoch polierten Metallen hingegen reflektiert sich die Umgebung und besonders auch Lichtquellen nahezu perfekt auf der Oberfläche. Die hellsten Punkte auf reflektierenden Oberflächen werden auch Glanzpunkte genannt und sind sehr wichtig für die korrekte Wirkung eines Materials, da sich oft nur im Glanzpunkt die Feinstruktur der Oberfläche erkennen läßt (da wir die virtuellen Materialien nicht anfassen können, ist die Oberflächenbeschaffenheit oft nur durch den Glanzpunkt wahrnehmbar). 

Die hier genannten Charakteristika stellen nur einen kleiner Ausschnitt dar mit denen die vielen Stoffe beschrieben werden könnten, die es auf unserem Planeten gibt. Für die virtuelle Materialerstellung bilden sie jedoch schon eine solide Basis (siehe Abb. 16 Kapitel 4.2).